"Ich kann eben nicht aus meiner Haut heraus."
Ich seufzte, und warf ein erneuten Blick auf sein Buch. Obwohl er bezüglich seiner starren Miene mich wohl gekonnt zu ignorieren bedachte, las er nun schon seit 10 Minuten dieselbe aufgeschlagene Seite. Für einen kurzen Moment richtete ich meine Aufmerksamkeit auf eine junge und recht hübsche Dame, die sich gerade bei ihrem Begleiter für die eben liebevoll überreichten Rosen bedankte. Sie strahlte über ihr ganzes entzückendes Gesicht, dessen Züge eine angenehm weiche Nuance besaßen. Meine Mundwinkel bildeten ein unscheinbares Lächeln.
"Du kennst die Abmachung, nicht wahr?"
Ich sah den beiden Spazierenden - sie lachte gerade herzlich über einen Witz, den er machte - bevor ich darauf erwiderte.
"Es scheint mir, als hättest vor allem du nicht vergessen. Dir ist das immer noch sehr wichtig." Ich warf meinem Parkbanknachbarn aus dem Seitenwinkel einen direkten Blick zu. Es war keine Frage, lediglich eine kleine Nebenbemerkung meiner Feststellung. Ich wusste es jedoch schon länger... nein, eigentlich lang genug. Inzwischen hatte er sein Buch zugeschlagen und war meinem vorherigen Augenmerk gefolgt. Er hatte wohl aufgegeben.
"Eifersucht hat die Fähigkeit das Herz hässlich zu machen. Wusstest du das?" Er sprach in einem sehr ruhigen und nachdenklichen Ton.
Meine Augen ließen noch nicht von ihm ab. "Ich kenne diese Geschichten schon. Es ist nicht so, als ob ich mir das alles gewünscht hätte. Im Gegenteil.", sagte ich leicht mürrisch und wandte meinen Blick in die entgegengesetzte Richtung, doch jetzt war niemand mehr zu sehen. "Ich fühle mich richtig aufgewühlt, rebellisch wild und irritierend verwirrt zugleich, auch, wenn man es mir kaum ansehen mag." Die letzten Worte verließen meine Lippen nahezu in einem Flüstern.
"Mir ist ebenfalls nicht recht wohl bei der Sache", entgegnete er und strich sich langsam durchs Haar, als er sich zurücklehnte. "Dieses Gefühl mag heimlich dein eigen sein, und die freundliche Zuwendung dir im Moment geschenkt", er machte eine kleine Pause, "aber wer das Bleiben kennt, der sollte auch ein Bekannter des Vergänglichen sein. Was ist denn mehr ewig, als das Zeitweilige?"
Ich schloss meine Augen, während er sprach, mir wurde erst jetzt bewusst, von welcher Müdigkeit sie heimgesucht wurden. Egal, was ich im Augenblick fühlte, ich wusste, er würde darüber Bescheid wissen. Es war mehr als nur reiner Scharfsinn. Ihm war aber ebenso klar, dass ich erahnte, was er dachte. Daraufhin lachte ich leise. "Und wer der ständigen, zwanghaften Veränderung ausgesetzt ist, sollte sich selbst am meisten schätzen, ist es nicht so?"
Er verzog keine Miene auf meine Worte. "Wir brauchen alle Zeit", sagte er schließlich, "besonders du, mein Freund."
Nun lehnte ich mich gleichermaßen auf die Banklehne. "Anderes würdest du mir so oder so nicht sonderlich als Empfehlung ans Herz legen, oder?", kicherte ich, während meine Augen die vom Sonnenstrahlen durchfluteten Baumkronen betrachtete. Im stillen Nachdenken legte er seine schmalen Finger behutsam auf den Buchdeckel. Die Spitzen strichen über das gemalte Bild eines langhaarigen Mädchens, welches das Cover zierte. Es trug ein rotes, unschuldiges Kleid und ihre grauen Augen hatten etwas menschlich Warmes. Trotzdem machte sie einen tristen Eindruck.
"Ist ein sanftmütiges Schweigen nicht liebenswürdiger, als ein unvorsichtig naiv gesprochenes Wort?", fragte er mich fast schon rhetorisch. Ich erhob meine Stimme nicht, beziehungsweise, hatte ich kaum die Courage dazu. "Wenn die Nacht einmal zum Stehen kommt und die Herzlichkeit gar allmählich an besondere Worte verliert, solltest du der Erste sein, der ein Obdach findet. Selbst der kleinste Hauch von Wind würde deine Augen unwillkürlich benetzen." Er sprach sehr bestimmend, doch gleichzeitig hörte ich die sorgfältige Rücksicht heraus.
"Das wars dann also?", brach ich mein Schweigen, wobei ich selbst nicht recht wusste, wo das Ganze endete. Er verstummte für einen Augenblick, so dass es schien, als würde er seine Antwort gerade zurechtlegen.
"Solange die alten Gewohnheiten noch mit aufrichtiger Bedeutung gepflegt werden... aber dir ist sicher nicht entgangen, wie ich vehement dazu stehe."
Er brachte mich damit tatsächlich noch zum Schmunzeln. "Es ist ziemlich spät, nicht wahr? Auch, wenn du womöglich recht hast." Es klang ein wenig bittersüß. "Wie immer ein großer Denker, und ich bin hier lediglich ein Gefühlsbrocken", witzelte ich amüsiert, aber mein Blick war wundersam apathisch.
Er bemerkte es, faltete seine Hände zusammen und starrte wortlos in die Ferne. Man konnte das frühe Singen der weit entfernten Vögel belauschen. Es war wieder Morgen.
Als er sich wieder das Buch besah, weinte das Mädchen.
© mimiroux
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